In: Gernot Böhme (Hg.): Klassiker der Naturphilosophie; München 1989, S. 117–136.

Hartmut Böhme

GIORDANO BRUNO

(1548-1600)

I. Leben

1548 wurde er unweit Neapels, in Nola, geboren: Jordanus Brunus Nolanus. Vom Leben Brunos wissen wir nicht viel. Am genauesten wurde sein Leben in seinern Inquisitionsprozeß notiert. Nur einmal hat dieser Mann, der nach Sokrates der erste und letzte Philosoph ist, welcher wegen seiner philosophischen Überzeugungen zum Tode verurteilt wurde, sich zusammenhängend autobiogriphisch geäußert: vor seinen Richtern. Ist das Werk Ausdruck des ungebärdigen Tempereaments eines Denkers ohne Heimat, so stellen die Verhörprotokolle dem Menschen Bruno ungewollt das Zeugnis einer klugen Selbstverteidigung aus, einer selbstbewußten Furchtlosigkeit und Wahrheitstreue, welche nichts mit der Unbeugsamkeit des Sektierers, um so mehr mit der jahrzehntelangen Erfahrung des kämpfenden Einsamen zu tun haben.

Vor seinen Inquisitoren also breitet er die Stationen seines Lebens aus: Zunächst Studium der humanen Wissenschaften, Logik und Dialektik in Neapel, dann Eintritt in den Dominikanerorden (1565) und Priesterweihe (1572). Im gleichen Jahr beginnt er das Studium der Theologie, das er 1575 abschließt. Wegen Ketzereiverdachts flieht er nach Rom und verläßt den Orden. Es folgt eine Odyssee durch Europa: durch die oberitalienischen Städte nach Chambéry, Genf (Kontakt mit den Calvinisten, Verhaftung, Flucht) und Toulouse, wo er zwei Jahre Vorlesungen über Philosophie hält (1579/81). Die Hugenottenkriege treiben ihn nach Paris (Förderung durch König Heinrich III.). Wegen “entstandener Tumulte” geht er nach England (1583-85), wo er wohl seine produktivste Zeit verlebt: Hier entstehen alle italienischen Dialoge. 1585 geht er zurück nach Paris, muß die Stadt jedoch wegen des Aufruhrs, die seine 120 Thesen gegen die Aristoteliker entfachen, wieder verlassen. Über verschiedene deutsche Städte erreicht er Wittenberg, wo er 1586-88 Vorlesungen an der Universität hält. Religiöse Auseinandersetzungen treiben ihn weiter. Vergeblich versucht er am alchimistisch beeinflußten Hof des Kaisers Rudolf II. Fuß zu fassen. So reiste er nach Helmstedt, das er nach kurzer Vorlesungstätigkeit (1589/90) erneut wegen religiöser Zwistigkeiten wieder verlassen muß. In Frankfurt am Main befördert er die Drucklegung seiner lateinischen Werke (1590/91). Hier erreicht ihn die Einladung seiner späteren Denunzianten nach Venedig. Warum er in das Land zurückkehrte, das seine Heimat, aber auch, wie er wußte, das Land der Inquisition war, bleibt rätselhaft.

Die Jahre bis zu seiner öffentlichen Verbrennung am 17. Februar 1600 liegen im Dunkel. Deutlich ist, daß Bruno wegen zentraler Verstöße gegen das katholische Dogma hingerichtet wurde; er ist nicht Märtyrer der kopernikanischen Wende. Doch die Verstöße – u.a. gegen die Personalität Gottes, die Trinität, den Bilderkult – sind auch Konsequenzen der philosophischen Auflösung Gottes in die desanthropomorphe Gestaltlosigkelt des Unendlichen. Die tiefere Religiosität, die in der Metaphysik der Unendlichkeit liegt, macht Bruno unweigerlich zum «Häresiarchen» (so die Prozeßakten) der christlichen Heilslehre. Nach dem Bericht des Deutschen Kaspar Schoppe soll Bruno zum Heiligen Offizium gesagt haben: «Mit größerer Furcht verkündigt ihr vielleicht das Urteil gegen mich, als ich es entgegennehme!» (K VI, 232) Es ist dies das mutigste und wohl auch genaueste Wort, das ein einzelner Mensch vor dem heiligen Tribunal der Macht sprechen konnte.


II. Einflüsse und Forschungsprobleme

Der Mangel an Wissen über die Bildungsgeschichte Brunos erschwert die Bestimmung der Einflüsse, die für seine Philosophie prägend waren. Da die Besonderheit seiner Philosophie in der leidenschaftlichen Verschmelzung von naturphilosophischen und religiösen Elementen, nicht in der diskursiven Entwicklung eines Systems zu suchen ist, sind einflußphilologische Untersuchungen noch immer erforderlich.

Man kann sechs Einflußebenen nennen: (I) ist eine umfassende Kenntnis der Scholastik und des Aristotelismus vorauszusetzen. Aristoteles hatte ex negativo den größten Einfluß auf ihn (vgl. z.B. P.R.Blum 1980). Wegen der kanonischen Geltung des Aristoteles in Theologie und Philosophie des ausgehenden Mittelalters sah Bruno als erklärter Gegner des Aristotelismus sich hier am ehesten motiviert, durch eine argumentitive und nicht nur rhetorische «Widerlegung» des aristotelischen Weltbildes den Neueinsatz seiner Philosophie zu profilieren. Diesen Zug teilt er mit vielen Philosophen der Renaissance. Unerforschter sind die Einflüsse der mittelalterlichen Philosophen, wohingegen seit der Pilotarbeit von F.J.Clemens (1847) die Rolle der cusanischen Philosophie für Bruno immer wieder betont wurde. Zu selten wird dabei, trotz der Arbeit von D.Mahnke (1936), die vorcusanische, naturmystische und hermetische Tradition beachtet. Unaufgeklärt ist das Verhältnis, das Bruno zur Grundschrift des Christentums, zur Bibel, zu den historischen Häresien (Manichäismus, Gnosis, Mystik) und zu den im 16. Jahrhundert bestehenden Glaubenssystemen hatte. Bruno ist einer der wenigen Zeitgenossen, der zu allen wichtigen Bekenntnisgruppen praktische Beziehungen hatte (E. Namer 1926). Auch hier besteht eher ein Einfluß ex negativo, die Abstoßung aller verfaßten religiösen Systeme seiner Zeit, bei gleichzeitigem Festhalten an biblischen Lehren. Widersprüchlich ist das Verhältnis von biblischer Tradition und antiker Mythologie, die in Brunos Schriften eine bedeutende Rolle spielt, auch wenn die Geltungskraft des Mythos, zu dem auch die christliche Theologie gezählt wird, einer radikalen Entmythologisierung unterzogen wird (F.Fellmann 1971).

Ungenügend erforscht sind (2) die Einflüsse der literarischen Kultur. Bruno ist als Philosoph immer auch uomo litterale. Petrarca ist das überragende Vorbild der Sprache Brunos, ferner Dante und der Lyriker Tansillo. Der emblematische Stil Brunos, der in der Emblem- und Hieroglyphenkunst der Renaissance wurzelt, erschöpft sich nicht in ornamentalen Funktionen, sondern ist strukturbildend für das philosophische Denken (vgl. Schmidt 1968). Die Emblemkunst Brunos hängt aufs engste mit dem Hermetismus und der alchimistischen Philosophie zusammen. Gar nicht zu überschätzen ist die literarische Bedeutung, die das philosophische Lehrgedicht (besonders De rerum naturae von Lukrez) sowie die platonische Dialogforrn für Bruno spielt. Hier ist der große Übersetzer der platonischen, plotinischen und hermetischen Textcorpora, Marsilio Ficino, auch für Bruno der wichtigste Vermittler.

Unzureichend aufgeklärt ist (3) der Einfluß des italienischen Neuplatonismus und Plotins. Nicht einmal die Rezeptionslage ist hier eindeutig. Trotz der richtungsweisenden Arbeiten E.Cassirers (1922, 1927) wissen wir noch immer zu wenig, in welcher Weise die Naturphilosophie (bes. der Timaios) und die Erkenntnislehre Platons auf die metaphysischen Entwürfe Brunos Einfluß genommen haben; ebenso bedarf der plotinische Emanatismus und die Lehre vom Einen und Schönen eines genaueren Vergleichs mit Brunos Naturphilosophie und seiner intuitionistischen Erkenntnistheorie. Zu wenig wird dabei berücksichtigt, daß der Neuplatonisinus aufs engste (4) mit hermetischen Traditionen (Pythagoräismus, Kabbalistik, Alchimie) verbunden ist. Dies gilt nach den überzeugenden Untersuchungen von Frinces A.Yates (1934, 1964, 1966) auch für Bruno. Raimundus Lullus hat Bruno früh studiert und die Weiterentwicklung von dessen ars memoriae zu einer Hauptanstrengung seiner Philosophie gemacht.

Die vorsokratische Naturphilosophie (5) ist für die brunosche Lesart des Atornisinus, des hylozoistischen Monismus, der Kosmologie, der Monadologie sowie für das Konzept der Verwandtschaft alles Seienden grundlegend. Ungewiß sind die Kenntnisse Brunos über die Vorsokratiker, die er durch die Vermittlung von Platon, Aristoteles, Lukrez und hermetischen Überlieferern rezipiert hat. Auch ist die Frage unentschieden, ob Bruno der Endpunkt einer vorsokratischen Naturphilosophie ist oder der Übergang zu einem, noch spekulativ befangenen, „materialistischen“ Naturkonzept (Lange 1866, Lasswitz 1890, Bloch 1972, Brockmeier 1980, Schmidt 1986; dagegen Védrine 1967).

Die kopernikanische Reform (6) ist für Bruno nicht strukturbildend, wird aber als Ermutigung leidenschaftlich begrüßt (Koyré 1957, blumenberg 1966, 1969, 1975). Der Aufbau der brunoischen Kosmologie trägt die Züge der antiken und cusanischen Spekulationen über die Unendlichkeit. Der Heliozentrismus des Kopernikus war Bruno als „Widerlegung“ des ptolemäisch-aristotelischen Weltbildes willkommen, nicht aber Anlaß zu weiteren physikalischen Forschungen. Die modernen Ideen Brunos über die Struktur des Universums sind keine wissenschaftlichen Hypothesen, sondern kühne Antizipationen theoretischer Spekulation. Bruno ist nicht eigentlich ein Kopernikaner, der die «experimentelle Philosophie» als Typus neuzeitlicher Wissenserzeugung auf den Weg bringt, sondern ein Philosoph, der die großen Traditionen der Naturphilosophie von der Antike bis zur Renaissance noch einmal bündelt und als grandioses Panorama der Unendlichkeit entwirft. Von der Wissenschaftsgeschichte wurde er verdrängt.

III. Stilphysiognomie der Philosophie

Nicht ohne Einfühlung attestiert Hegel dem Nolaner «eine schöne Begeisterung eines Selbstbewußtseins, das den Geist sich inwohnen fühlt und die Einheit seines Wesens und allen Wesens weiß» (XX, 24). Diese Gespanntheit des Denkens auf Einheit charakterisiert Bruno in der Tat, wenn sie auch für Hegel «wissenschaftliche Bildung noch nicht erreicht hat» und sich in «mystischer Schwärmerei» verirrt (ebd.). Zum Vorwurf der Ketzerei gesellt sich der Vorwurf des Irrationalen, wie er seit Hegel Topos ist.

Was für Hegel unausgegorener Geist ist, war für Bruno das zentrale Ereignis seines Lebens. In De gl'eroici furori (1584) entfaltet Bruno diese Ursprungserfahrung seiner Philosophie: unter der Emblemimprese «Vicit instans» entwickelt er, wie das von «demantenem Schmelz» überzogene «Herz», das verhärtete Subjekt im metamorphischen Augenblick der Liebe «den eindringenden Lichtglanz nicht mehr zurückwirft, sondern – durch Wärme und Licht aufgeweicht und bezwungen – in seiner ganzen Substanz lichtförmig, ja selbst ganz zu Licht wird, im Maß, wie dieses in sein Fühlen und Denken eingedrungen ist» (K V, 161/2; It II, 452). Bruno merkt an, daß dieser Augenblick in seinen dreißigsten Jahr ihm widerfahren sei (K V, 162/4; It II, 453/4).

Wir haben hier die anstößigen Momente der Brunoschen Philosophie versammelt: die plotinische Lichtmetaphysik; die Auflösung des erkennenden Subjektes in seinen Gegenstand; die poröse Subjektstruktur, die mit den Strategien des abgegrenzten Aufklärungssubjekts unvereinbar ist. Ferner ist in keiner neuzeitlichen Philosohie nach Bruno (und vor Kierkegaard) der Augenblick, in welchem das schlicht Unvermittelbare aufblitzt, Grundlage des Erkenntnisprozesses. Für Bruno ist der Augenblick der Ursprung der Zeit und zugleich ihr Ganzes, als «Zeitatom», das in sich die Unendlichkeit versammelt, der Einschnitt und Einschlag, der die existenzielle Metamorphose des Subjekts bedeutet. Dem Unvermittelbaren dieses Erkenntnisereignisses trägt Bruno durch Poetisierung Rechnung. Auch dies sperrt sich dagegen, Bruno in den Prozeß der Verwissenschaftlichung zu integrieren. Die Trennung von Kunst und Wissenschaft, von ästhetischer Rede und argumentierendem Diskurs ist eine die Neuzeit beherrschende Struktur.

Die Metaphorik Brunos ist der Stilausdruck einer Philosophie, die von der cusanischen docta ignorantia geprägt ist, vom Wissen um das zuletzt Nicht-zu-Wissende des höchsten Erkenntnisgegenstandes. Die Endlichkeit des Erkennenden, die Disproportion zwischen Wissen und unendlichem Universum, das dennoch ruhelose Getriebenwerden zum Absoluten, der freie Augenblick des erkennenden Sehens und der immer wieder unaufhaltsame Absturz in die Düsternis der Epoche: eine solche Spannung ist nicht diskursiv zu bewältigen, sondern nur in einer Haltung, die zum ästhetischen Ausdruck dieser Zerrissenheit drängt und die Bruno die heroische nennt.

Die Poetisierung des Erkenntnisaugenblicks zeigt sich an der allegorischen Einführung der Götter Diana und Apollo in diesen Augenblick. Im Erkenntnisakt wird das Subjekt von den Pfeilen der Diana getroffen; das meint in der petrarkischen Sprache der Liebe: symbolisch getötet. Diana ist sowohl die «Göttin der Einsamkeiten, wo die Kontemplation der Wahrheit statthat» (K V, 161; It II, 452), wie sie zugleich das göttliche speculum naturae ist: Natur als Spiegel, Abglanz, Widerschein des reinen Göttlichen, des Lichts, nämlich Apollons. Die Zwillingsgötter Sol und Luna, als Allegorien der ersten und zweiten Intelligenz (hier folgt Bruno der alchimistischen Philosophie), bezeichnen zum einen, daß die gotterfüllte Naturerkenntnis unvereinbar ist mit dem christlichen Vatergott in seiner naturtranszendenten gloria divina. Zum anderen sind sie als selbst nicht mehr geglaubte mythische Mächte zu Allegonen geworden, die im Ereignis des Augenblicks selbst verlöschen und nur noch als poetische Zeichen der sprachlich unausdrückbaren Wahrheitserfahrung figurieren. Dies steht quer zum neuzeitlichen Wahrheitsbegriff.

IV. Philosophischer Ikarus

Die Naturphilosophie Brunos ist die andere Seite seiner realen Heimatlosigkeit. Das Leben ohne dauerhafte Anerkennung, die ruhelose Wanderschaft, die enttäuschten Hoffnungen, die Angst vor Gefangenschaft: dies ist der Hintergrund der Philosophie Brunos. In einem modernen Sinn ist Bruno der erste Schriftsteller auf «exzentrischer Bahn» (HÖLDERLIN). Seine elitäre Haltung, seine Provokationen und Polemiken sind Abwehr von Angst und Depression, von Einsamkeit und Todesnähe; sie sind Abwehr des Hasses auf alles Fremde und Abweichende, des Dogmatismus der etablierten Wissenschaftler, der Brutalität des «Pöbels» aller Schichten, der Gewaltförmigkeit der Religionen und der Standesgesellschaft.

Es sind die großen Ängste der Epoche, die Bruno bearbeitet und zu überwinden sucht. Der stets drohenden Vernichtung des Menschenlebens begegnet er mit der Idee der Einheit der Substanz, wodurch der Tod zum Moment des unendlichen Formenwandels der produktiven Natur wird. Der vielfach beobachteten Alterung der Erde setzt er die Unendlichkeit der kosmischen Sonnenenergie entgegen. Die apokalyptische Angst vor der Vernichtung der Erde mildert er im Begriff der Ewigkeit des Alls, innerhalb dessen jede Katastrophe zugleich die Geburt eines Neuen bedeutet. Der archaischen, nachkopernikanisch wieder erwachenden Angst vor der Leere des Raums begegnet er mit der Idee der alles erfüllenden Weltseele und des Ätherraums, in dem die unzähligen Sternenorganismen schwimmen wie Kinder in mütterlichem Wasser. Die Angst, daß diese Welt die Ausgeburt einer luziferisch verwilderten göttlichen Allmacht sein könnte, überwindet er dadurch, daß das unendliche All die göttliche Potenz absorbiert hat (Gott schuf nicht weniger, als er konnte): Dadurch wird die unendliche Natursphäre selbst göttlich. In ihrer Wohlgeordnetheit ist sie gut und nur von Bewegungen erfüllt, die den Weltkörpern immanent sind. Erkennbar sind die religiösen Grundlagen der brunoschen Metaphysik der Natur.

Die epochalen Ängste und die soziale Desintegration Brunos sind Mitzulesen, wenn er in den grandlosen Vislonen der Unendlichkeit voll einem kosmischen Bürgertum träumt: «Nicht zufällig ist daher», so folgert Bruno aus der Unendlichkeit des Raums, «das Vermögen des Intellekts, immer Raum an Raum fügen zu wollen und zu können, Masse zur Masse, Einheit zur Einheit, Zahl zur Zahl: kraft der Wissenschaft, welche uns von den Ketten dieser einen so engen Herrschaft loslöst und zur Freiheit dieses herrlichsten Reiches führt; die uns aus der vermeintlichen Armut und Enge befreit zu den unzählbaren Schätzen dieses unermeßlichen Raumes, dieses würdigsten Gefildes, dieser vielen bewohnten Welten.» (KIII, 23; It I, 283)

Die azentrische, unhierarschiche, homogene und relativistische Raumstruktur ist gerichtet gegen den Zentralismus der religiösen und philosophischen Systeme, die Hierarchien und unwillkürliche Herrschaft begründen. Die Weite, Fülle und Lichtheit des Raumes ist das Gegenbild der Enge, Armut und Düsternis des irdischen Lebens. Bruno hat den Zusammenhang von ptolemäische-aristotelischem Weltbild und religiöser wie politisch-sozialer Herrschaftsstabilisierung begriffen. Seine Philosophie des Unendlichen ist der noch isolierte Einspruch gegen den «despotischen Signifikanten» (Deleuze/Guattari) des Vatergottes und die hierarchischen Strukturen des geozentrischen Weltbildes. Die parataktische Denkform Brunos errichtet dagegen eine Demokratie der Sterne: Ihre strukturelle Gleichrangigkeit garantiert nicht allein das «Prinzip der Fülle» (A. 0. Lovejoy) für alle, sondern auch die Repräsentation des Ganzen in jedem Einzelnen. Die spekulative Identität von Minimum und Maximum, die als Grundlage der Naturphilosophie Brunos gelten kann, hat eine politische Dimension. Die Philosophie Brunos, die das hermetische Erfahrungsmuster der «Himmelsreise der Seele» (C.Colpe) nachbildet, ist das Unternehmen eines philosophischen Ikarus (vgl. K V, 65; It II, 369), der in seinem freien Flug (wie in seinem tödlichen Absturz) zweierlei demonstriert: die soziale und religiöse Kerkerhaftigkeit der irdischen Ordnungen und die ebenso ästhetische wie wahre Demokratie der stellaren Welten.

V. Aktaion:
Eros und Tod im Erkenntnisakt

«Wer das Wissen mehrt, mehrt auch den Schmerz«, zitiert Bruno Prediger I, 18. Wissen ist nicht Ergebnis von Apathie und methodischer Disziplin, sondern diese sind Mittel, den leidenschaftlichen Furor der Partizipation am Unendlichen zu erreichen: darin wird das Subjekt zum Schauplatz der Erkenntnis, die sich seiner bernächtigt. Erkennen ist Erleiden der Erkenntnis, ist Schmerz und Lust in einem. In der Idee eines von Leidenschaft ergriffenen Liebhabers der Wahrheit konzentriert sich Brunos Konzept des nicht-kriegerischen Heros. Der Heros bei Bruno öffnet nicht Handlungsfelder kriegerischer Politik, sondern – als Pilot des Äthermeeres – den «äußersten Himmel«, die «oberste Wölbung des Firmaments» (A 72-4; It I, 24-7). Der contemplator coeil ist der neue (zugleich antike, jetzt «wiedergeborene») Heros. Denn für Bruno übertrifft die Befreiung vom geo- oder heliozentrischen Sphärenkosmos bei weitem die Heroen der Handlungsgeschichte. Erkenntnis der Weltstruktur ist für Bruno das Ereignis, das mit Kopernikus «wie die Morgenröte der aufgehenden Sonne» sich ankündigte, um in Bruno selbst im Lichtglanz des neuen Welttages zu erstrahlen (A 71; It I, 24).

In der Schrift De # Naturerkenntnis durch die Neuinterpretation des Mythos des Aktaion (Ovid: met. II, 138ff.). Dieses zentrale Werk der brunoschen Erkenntnistheorie steht unter dem Einfluß des Hohen Liedes, Plotins, des platonischen Symposions, des Symposion-Kommentars De Amore (1469) von Marsilio Ficino und der Dialoghi di Amore des Leone Ebreo (1535). Für die Ranaissancetheoretiker der Liebe ist dabei die Platonische Unterscheidung von irdischer und himmlischer Liebe (vgl. das gleichnamige Gemälde Tizians) ebenso grundlegend wie die metamorphische Kraft des Eros, der auf seiner höchsten Stufe ein Gezeugt- und Geborenwerden im Schönen selbst ist. Im Innewerden des göttlichen Schönen, durch ein Sehen, das sich vom partikularen Objekt des Begehrens gelöst hat, öffnet sich der ersehnte Zustand der diskursiv uneinholbaren Weisheit: das Licht und die Schau. Dieses Erosmodell überträgt Bruno auf die Geschichte des Aktaion.

Aktaion ist jener Jäger, der zur Strafe dafür, daß er die badende Diana gesehen hat, in einen Hirsch verwandelt und von seinen eigenen Hunden zerrissen wird. Die Szene des schuldlos-schuldigen Opfers und der rächenden Göttin verändert Bruno radikal, um an ihr das allegorische Tableau der Naturerkenntnis zu gewinnen (vgl. Tizians «Diana e Atteone», 1559). Aktaions Jagd ist bewußte Wahrheitssuche, bei der er die Hunde, seine Leidenschaft und seine Gedanken aussendet, um von ihnen dorthin geführt zu werden, wohin es den Jäger treibt: zum Ort der verlöschenden Differenz zwischen der unvollkommenen menschlichen Vernunft und dem Göttlich-Einen der Natur (Vgl. K V, 62; lt II, 366/7). Die Epiphanie der nackten Göttin am spiegelnden Wasser löst verschiedene Umkehrungen aus. Zum einen erscheint das Göttliche an den Dingen selbst; die badende Diana ist der «Spiegel der Ähnlichkeiten», Spiegel und Widerschein des Göttlichen in der Natur, so daß alle Dinge durch die sich fortzeugende Analogie des Seins zu Spuren und Zeichen der einen Wahrheit werden. Zum zweiten verkehrt sich irn Anblick der Naturgöttin das Verhältnis von Subjekt und Objekt: Aktaion ging aus, «um Beute zu machen, und wurde selbst zur Beute ... durch die Wirksamkeit des Intellekts, mittels derer er die apprehendierten Dinge in sich selbst [seinem Maß entsprechend] verwandelt» (K V, 71; It II, 376). Diese Introversion der Dinge, die damit zu Gegenständen der menschlichen Vorstellung werden, löst zugleich eine Verwandlung des Subjekts aus: das jagende Subjekt transfiguriert sich ins gejagte Objekt im selben Maße, wie das Objekt ins Subjekt übertritt. Dieser chiastische Umschlag, das Außer-sich-Gesetztsein des Subjekts und die «Inverwandlung» (R. Musil) des Objekts, diese Wiederkehr der Göttin im offenen Raum des Subjekts Aktaion, ist für Bruno das zugleich erotische und erkenntnistheoretische Geheimnis der bei Ovid im mythischen Bann verbleibenden Metamorphose. Bruno zielt auf die Verwandlung der Göttin der Natur in das Bewußtsein der göttlichen Natur des Menschen.

Mehreres ist hierin bemerkenswert: Erkenntnis der Natur vollzieht sich bei Bruno nicht wie bei Platon im erinnernden Rückbezug auf die objektive Ruhe der Ideen, sondern im Ergriffenwerden von Macht des göttlichen Gegenstands. Es ist hierin aber auch nicht eine naturmystische Vereinigung anzunehmen, weil sich an den komplexen Inversionsverläufen zeigt, daß die Trennung von Erkenntnis und Erkanntem nicht verschmelzend aufgehoben, sondern in ein dynamisches Spiel von Austausch- und Verwandlungsprozessen überführt wird. Ferner unterscheidet sich dieses Modell auch vom plotinischen Aufstieg zum transzendent Göttlichen, weil es bei Bruno keine Transzendenz gibt. Die Begegnung mit dem in die Natur eingeschlossenen Göttlichen bedarf des immer neuen Anschlusses an das Einzelne, Sinnlich-Gegebene, um an diesem die Struktur des Ganzen zu entwickeln. Jedem Aufstieg zum Einen folgt der Abstieg ins Viele, oder: weil im unendlichen Raum das Minimum mit dem Maximum zusammenfällt, erschließt sich die Natur ebenso aus der kleinsten «Spur» wie aus den Unermeßlichkeiten der Weltsysteme.

Der geöffneten Weite des Subjekts im Augenblick der wahren Naturanschauung entspricht die beherrschende Flug-, Licht- und Feuermetaphorik, die die polare Spannung zu den Metapherfeldern der Enge, der Ketten, des Gefängnisses und des Dunklen hält. Die Grandiosität des Augenblicks korrespondiert dem Elend der Zeit. Leidenschaftlicher Heros wie Aktaion, also Philosoph der Natur zu sein, heißt, mit der «Seele» den unheilbaren «Zwiespalt» zwischen Erkenntnisrausch und Daseinsnot zu empfinden und so «sich selber zerrissen und zerfleischt» (K V, 87, 42ff.; It II, 389, 348ff.) zu wissen. In diesem Widerspruch, der ein Effekt des unendlichen Begehrens ist, identifiziert Bruno die Macht des Eros. Lieben heißt «Innerer Bürgerkrieg», ein Oxymoron der Gefühle: Schmerzlust. Endlos die Tränen der Augen im Schmerz über das unerreichbare Objekt; und endlos das Feuer des Herzens, das sich nach dem Unerreichbaren verzehrt (K V, 187 ff.; It II, 475 ff.: Dialog zwischen Augen und Herz). So ist Aktaion der Held Brunos, weil er in der Begegnung mit dem Naturschönen – Diana – die contrarii affetti des Philosophen darstellt. Das Erkennen der Natur ist deutlich dem schamanistischen Ritual nachgebildet: der Adept, der das Naturgeheimnis schaut, wie Aktaion die Göttin, stirbt den «kleinen Tod» der Verwandlung – er stirbt als soziale Existenz und wird ein «wildes Wesen», «obdachlos», «ungesellig» (K V, 185 u.ö.1 It II, 473). Wie im Mythos Diana die «Göttin des Draußen» (Ranke-Graves) ist, so wird ihr Jäger, der Adept der Natur, ein exterritorialer Mensch.

Dies ist der Preis der Brunoschen Naturphilosophie; ihr Lohn ist jener Blick, in welchem der Schauende «ganz Auge geworden ist»: «So schaut er das Ganze wie das Eine; er sieht nicht länger durch Distinktionen und Zahlen, der Verschiedenheit der Sinne folgend, die wir durch unterschiedliche Ritzen alles nur unvollständig und verwirrt sehen und apprehendieren lassen. Er schaut die Amphitrite, den Quell aller Zahlen, aller Arten, aller Begriffe: sie ist die Monade, die wahre Essenz allen Seins aller Dinge; und wenn er sie nicht in ihrer Essenz selbst, in absolutem Lichte sieht, so sieht er sie doch in ihren Erzeugungen, welche ihr ähnlich und ihr Abbild sind. Denn aus jener Monade, welche die Gottheit ist, geht diese Monade hervor, welche die Natur, das Universum, die Welt ist. In ihr betrachtet und spiegelt sich jene wie die Sonne im Monde, durch den vermittelt sie uns erleuchtet, während sie sich in der Hemisphäre der intellektualen Substanzen befindet. Diese (=die zweite Monade) ist Diana, jenes Eine, das das Seiende selbst ist, das Seiende, das das Wahre ist; das Wahre, welches die begreifbare Natur ist, auf welche die Sonne und der Glanz der höheren Natur einströmt, so daß die Einheit sich unterscheidet in erzeugte und zeugende oder schaffende und geschaffene [Natur, H. B.].» (K V, 186; It II, 473)

Vl. Naturwissen

Wissen von der Natur hat Bruno nicht aus praktischem Umgang mit ihr. Bruno hat deutlich kein Interesse an Mathematik, technischen Instrumenten, Empirie. Er zielt auf Philosophie als das, was Schelling später «spekulative Physik» nennen wird; sein Naturbild ist Ergebnis von Reflexion und Imagination, also «Intellektuelle Anschauung», die moderner Erkenntniskritik nicht standhält.

Atom und Weltall, die Erde und extragalaktische Systeme – Brunos Philosophie kennt nichts abgründig Fremdes. Er, dein auf Erden jede Lebensform fremd blieb, ist der Theoretiker der Verwandtschaft noch des uns Allerfernsten in Minimum und Maximum. Der Inbegriff der Kette der Verwandtschaften ist die Natur. Im epochalen Augenblick, der die Geburt der neuzeitlichen Wissenschaft einleitet, entwirft Bruno die Vision eines universellen Kontinuums allen Seins – fast wie eine Erinnerung an die einmal unwiderstehliche Kraft des Sympathetischen als Erkenntnisform. Seit Galilei gilt das methodische Sich-Fremdmachen des Menschen als Prinzip kontrollierter Forschung; infolgedessen ist die Natur das Fremde – und bleibt es auch gegen jede Philosophie der Naturaillanz, wie sie zwischen der Romantik und Ernst Bloch versucht wurde. Bruno ist nach der kopernikanischen Wende der erste Naturphilosoph, der eine zur neuzeitlichen Entwicklung quere Perspektive des Mensch-Natur-Zusammenhangs entwarf.

Natur ist für Bruno in den Begriff eines anfangslosen, ewigen Produktionszusammenhangs gefaßt (natura naturans). Dies ist ihr Göttliches, das Eine und Unendliche, das sich in Körper übersetzt (natura naturata). Natur ist der tragende Grund jeder einzelnen Existenz. Deren individuierte Endlichkeit stellt, wie es George Bataille formulierte, eine Diskontinuität im Kontinuum des ewigen Werdens dar. Der Tod ist die Aufhebung der Diskontinuität und die Reintegration in den Strom der Geburten. Die Natur ist das Eine nicht im Einzelnen, sondern in der unendlichen Bewegung des Ganzen, das im Einzelnen als immanenter Bewegungstrieb der Körper seine Spur zieht. Unendliche Bewegung des Unendlichen fällt mit ihrem Gegenteil, der Ruhe, zusammen. Ist die Natur die Übersetzung Gottes in die Materie, so folgert Bruno aus der cusanischen Metaphysik der Unendlichkeit, daß die ins Unendliche geweitete Natur keinen «unbewegten Beweger» mehr benötigt (z.B. K III, 154ff.; It I, 404ff.). Der Mensch hat nichts außer der Natur, aber diese ist Alles in Einem. Darum braucht der Mensch auch keinen Christus, in dein Gott Menschenmaß sich offenbart: Die Natur ist Christus, insofern sie die begreifbare Göttlichkeit ist. In einer solchen Welt verketten sich die Dinge in der Ordnung der Analogie nach allen Selten bis ins Unendliche.

Michel Foucault hat den Renaissancetyp des Wissens durch vier Strukturmerkmale charakterisiert: «convenienta» ist die Benachbarung der Dinge; «amulatio» ist die ortsungebunJene, berührungslose Ähnlichkeit; «analogia» meint die Ähnlichkeit der Verhältnisse und Proportionen; und das Paar Sympathie/Antipathie bildet die zusammenführenden und auseinanderhaltenden Wechselwirkungskräfte der Körper. Das brunosche Naturwissen ist dabei nicht evolutionistisch als Vorform rationaler Wissenschaft zu verstehen, sondern als anderer Erkenntnistyp, der von der Verwandtschaft des Materieprozesses und des menschlichen Lebens ausgeht.

Die universelle Sympathie ist ein Effekt der Weltseele, der anima mundi, die das All in allen seinen Tellen belebende Kraft. Bruno macht hier einen dem Erotischen entnommenen Wirkungszusammenhang zur Grundstruktur der sonst leeren und toten Unendlichkeit. Die anima mundi ist der Eros des Alls derart, daß jeder Körper von dem natürlichen Bewegungsantrieb erfüllt ist, den Ort seines intensivsten Angezogenseins (Attraktion) zu suchen und den Ort des intensivsten Abgestoßenseins (Repulsion) zu fliehen (A 159 ff.; It I, 111ff.). Die Weltseele ist eine grandiose Projektion jener Erfahrung, worin raumüberspringende Kraft dem Menschen am ursprünglichsten aufgeht: im Eros, in seiner überwältigenden Evidenz von Anziehung und Abstoßung. Schwerkraft ist bei Bruno die Anziehung des Körpers zum Ort der ihm spezifisch höchsten Attraktivität, ist Rückkehr aus dem Irren im Raum (K III, 6Off.; It I, 315 ff.) – sowie dann: ein harmonisches Kreisen um das attrahierende Objekt, aus eigenem Bewegungsantrieb, in größter Leichtigkeit. Eros als Weltseele affiziert alles in allem und ist so das erste Prinzip der Materie.

Die anima mundi erweist sich daher als Ursprung der analogia und der aemulatio. Die Analogie ist die alles dominierende Stilform der Sprache Brunos. Die Basisanalogie ist die zwischen den Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieben des tierischen Organismus und der alle Weltkörper belebenden anima mundi. Wird der erotische Organismus und als privilegierter Raum gesetzt, von dem in alle Richtungen die Analogien wie unendlich weit reichende und zugleich unendlich sich brechende Strahlen ausgehen, so entstehen Texte wie ein aus analogen Mustern gewebter Teppich: So führt Bruno – gegen Aristoteles – z.B. aus «daß auf dieselbe Weise, auf welche in diesem universellen unendlichen Raume diese unsere Erde ihren Kreis beschreibt und ihr Gebiet besetzt, auch die übrigen Sterne gleicherweise ihre Gebiete wahren und ihre eigenen Kreise im unendlichen Gefilde wandeln. Und wie diese Erde aus ihren eigenen Gliedern zusammengesetzt ist und ihre Veränderungen, ein Zuströmen und Abströmen ihrer Teile, hat (was wir analog schon bei Tieren sahen, deren Säfte [humori] Glieder in stetiger Veränderung und Bewegung sind): ebenso bestehen auch die anderen Gestirne aus ihren eigenen, doch ähnlich eingerichteten Gliedern.» Und so geht es weiter, bis es heißt: «So können wir sagen, daß über alle Sterne und alle Welten hin eine wahrhafte Ähnlichkeit bestehen kann.» (K III, 120/1; It I, 372)

Die Sprachfigur der «analogia» erzeugt aus dem Näheraum der Erfahrung bis in den Fernraum des Alls eine umfassende Ähnlichkeit, welche die nachkopernikanische Angst vor der «unendlichen Leere», die «diese Welt verschlingen könnte, wie ein Nichts» (K III, 53; It I, 308), umbesetzt in ein universelles, vom erotischen Licht erhelltes Glück des Seins (K III, 111/2; It I, 361/2). Ist die Analogie ein Effekt des Eros, der die fremden Körper in wechselseitige Affizierung rückt, so ist bei Bruno das unendliche All weniger ein diskursiver Begriff als die Figur jener Sprache der Liebe, die in infiniten Analogien sich bewegt.

Die «aemulatio» ist das Verfahren, über die Grenze der sichtbaren Welt ohne Raumvermittlung zu springen. Ist die Unendlichkeit gesetzt, ferner das Prinzip der Fülle, schließlich die Natur als unendlicher Spiegel des Einen, das Eine aber als das, was unendliche Produktion ist, dann ist das Sonnensystem nur eines unter unendlich vielen (K III, 36ff.; It I, 294ff.). Daß Bruno bei diesem Gedanken nicht, wie nach ihm so viele Lyriker der Neuen Kosmologie, in einen Taumel gerät, liegt an der aemulatio: die Mannigfaltigkeit der Sterne zieht keinen Raumsturz ins Chaos nach sich, sondern, in der Form der aemulatio gedacht, entsteht eine Bewegung, die noch die fernsten Systeme im Netz der Ähnlichkeiten einfängt. Die aemulatio ist als Sprachforrn die Mimesis des Einen, das sich in unendlich vielen Körpern, simultan im Raum und diachron in der Zeit, ausdifferenziert – doch immer am Band einer Ähnlichkeit, die nie und nirgends die Körper in absolute Fremdheit auseinandertreiben läßt. So sehr darum die Erde als nichtiger Punkt im All verschwinden mag, so ist es die aemulatio, die das Ephemere unserer Welt mit dem ubiquitären Mittelpunkt des Alls zusammenfallen läßt. Die alle Räume simultan überspringende aemulatio verwandelt die Relativität des Erkenntnisstandortes in die Sicherheit, daß von jedem Punkt im All, also auch von der Erde aus, sich das unbekannte Ganze als das dem Vertrauten Ähnliche erweist. Die aemulatio ist das Auge des Geistes: Bruno befreit sich aus den Grenzen der wahrnehmbaren Welt, indem er kraft der aemulatio die unsichtbaren Sternensysteme als «alle in einem absoluten Sinn wahrnehmbar» (K III, 81; lt I, 334) identifizieren kann.

Die «convenientia», hat zwei wichtige Funktionen: im terrestrischen Zusammenhang und im Ätherraum. Auf der Erde schafft die Konvenienz das nachbarliche Zusammenkommen aller Lebewesen mit ihrer «göttlichen Mutter» (K III, 36; It I, 295), der Erde. Diese selbst wird leibmetaphorisch als Lebewesen mit biologischen Körperprozessen entfaltet (K III, 101 ff.; A 126 ff.; It I, 352 ff.; 81 ff.). Die Leibmetaphorik geht auf ein naturphilosophisches Prinzip zurück, das in der convenienti als Wissensform reflektiert wird: das lebendige Prinzip der Materie. Dieser ist die Produktivität immanent: Hervorbringen, Bestehen und Untergang; Geburt, Lebenserhalt und Tod, die Merkmale also des Organischen.

Hier zeigt sich eine weitere Beziehung zum alchimistischen Hermetismus: nämlich die Deutung der Materie als Mater, Matrix, Genetrix, als mütterliche Gebärkraft (z. B. U 92; It I, 243). Die materia prima, die «dauernde, ewige, zeugende, mütterliche Materie» hat deutlich Vorrang vor den Formen, die als immanente Möglichkeiten der Materie bestimmt sind (z.B. U 89ff.; It I, 240ff.). Ihr entstammen sie, nur mit ihr bestehen sie, in sie sinken sie zurück. So wie alle Lebewesen Kinder der Erde sind, ist diese, wie alle übrigen Weltkörper, eine vorübergehende Ausgeburt der Materie. Gegenüber der aristotelischen Form-Materie-Hierarchie, worin die intelligible Form als logos spermatikos die weiblich unterliegende Materie gestaltet, entwickelt Bruno eine gewisserrnaßen matrilineare Genealogie des Schöpfungsprozesses (z. B. U 60/1, 90/1; A 75, 167/8; It I, 212/3, 241/2, 26, 119). – Hierin liegt naturphilosophisch der Begriff einer dynamischen Materie, den Bruno von Demokrit und den Epikureern bis zu sich selbst herleitet (U, III. Dial.). Kulturgeschichtlich jedoch wichtiger ist die Kritik am Patriarchalismus des Christentums, der Philosophie und der Geschlechterordnung. Im IV. Dialog von De la causa, principio et Uno entlarvt Bruno am aristotelischen Materiebegriff den patriarchalischen Frauenhaß als die philosophische Denkfigur, mittels derer die Materie zum weiblichen Chaos degradiert wird. Bruno lehnt darum das demiurgische Weltmodell ab, das von Platon und Aristoteles ausgehend noch die Schöpfungstheologie des Mittelalters beherrscht hat. Die Materie benötigt keinen Demiurgen, weil das ihr innewohnende Lebendige, die anima mundi, selbst schon ein «innerer Künstler» ist (schon Lukrez spricht von der daedala tellus). Die convenientia der Dinge hat ihren tiefsten Grund in der Homogenität der Materie, die «unsere Mutter» ist, «die uns auf ihrem Rücken ernährt und versorgt, nachdem sie uns aus ihrem Schoß geboren hat, und die uns immer wieder darin aufnimmt» (A 75; It I. 26).

Die zweite Ebene der convenientia wird durch den Äther gebildet. Was die Erde für die Lebewesen, ist der Äther für die Sternenwelten: «ätherisches Meer», «Schoß und Umfang» aller Weltkörper, einziger «allgemeiner», «unendlicher», «universeller Schoß». Der Äther bildet zwischen den Sternenwelten eine Art Kontaktraum, ein wasserförmiges, umhüllendes tragendes Medium, so daß die Körper über unvorstellbar große Räume hinweg zu einer Einheit in der Verschiedenheit zusammenkommen (convenire). Die convenientia ist in der Sphäre des Alls ein Effekt des Äthers. Sie schafft eine kosmische Nachbarschaft auch in dem Sinn, daß die Sterne, wie die Erde, Lebewesen und Bewohner haben, die mit uns durch die Ähnlichkeit der Orte geheimnisvoli verbunden sind.

Die analogischen Wissensformen sind Leistungen der Sprache. Sie leisten die Vermittlung des Einen und des Vielen, fangen die Zersplitterung des Kosmos auf und setzen an die Stelle der Leere der Weit eine mütterliche Matrix, die eine unendliche Ähnlichkeit aller Dinge stiftet. Weil alles in eine Genealogie der Verwandtschaft eingetragen ist, ist in allem die Spur des unendlichen Einen, das sich in die ungeheure Fülle der (Weiten-)Körper vermannigfacht hat. Das principium analogiae ist bei Bruno zugleich Denken und Sein.

VII. Der unendliche Raum

Überschätzt wird die Bedeutung, die Kopernikus für Bruno gehabt hat. Die «kopernikanische Reform» (Blumenberg) mit ihrem Ansatz zur Verwissenschaftlichung des Naturbildes, wie sie sich auf der Linie voll Galilei bis Newton entwickelt, spielt für Bruno nur eine Initialrolle. Die von Osiander im Vorwort zum Werk des Kopernikus zur mathematischen Hypothese gemilderte Heliozentrik des Kosmos identifiziert Bruno – wütend gegen Osiander (A 110 ff.; It I, 66 ff.) – sofort als physikalische Wahrheit. Diese bildet nur ein schwaches Fundament für die Phantasiereisen Brunos im unendlichen All. Für dessen Strukturentwurf sind denn auch vorsokratische Naturphilosophen wie Heraklit, die Eleaten, Empedokles und Anaxagoras, Leukippos, Demokrit und die Epikureer, ist vor alem Nikolaus von Kues wichtiger als Kopernikus.

Das All ist bei Bruno ein nicht-empirischer Begriff der gestaltlosen, dezentralen, reinen Dimensionalität des unendlichen Raumes. Der Raum ist die Außenweite der intensiven Unendlichkeit im Begriff des Einen. Die cusanischen Paradoxa, die coincidentia oppositorum, die Nikolaus entwickelt hatte, um die Unbegreiflichkeit Gottes zu denken, gelten für Bruno für den Raum, der sämtliche göttliche Attribute erbt. Diese Konsequenz aus der cusanischen Lehre hat Bruno als Vorläufer des Pantheismus erscheinen lassen. Im All fallen Zentrum und Peripherie, Ruhe und Bewegung, kreisförmige und geradlinige Bewegung zusammen. Bruno hat spekulativ einen Raumbegriff gewonnen, für den weder die Mathematik noch die Physik reif war. Und er hat aus diesem Raumbegriff die moderne Konsequenz der Relativität von Längen- und Zeitdaten gezogen. Alle Angaben über Größe, Geschwindigkeit, Richtung, Kraft gelten nur relativ zu einem Beobachterstandort als Bezugspunkt von möglichen Meßdaten. Diese sind im unendlichen Raum ohne Sinn. Doch ist der Raum homogen und isotrop.

Der unendliche Raum ist unbeweglich – was dasselbe ist wie «unendlich bewegt», weder schwer noch leicht, ohne fixe Richtungsvektoren. Der Raum ist die nicht-materielle Dimension des Umfassenden und Aufnehmenden für die unendliche Fülle der relativen Bewegungen materieller Körper. Die Sonne, die Kopernikus noch als «schönen Tempel» in die Mitte des kosmos setzte, ist nur ein Zentrum unter unzählbar vielen: Die kopernikanische Welt ist bei Bruno zum Analogon der unendlichen Vielfalt der Sonnenwelten geschrumpft. Die Fixsterne sind nicht bewegungslos auf eine Sphärenschale «genagelt», sondern dieser Eindruck beruht auf der Täuschung der Sinne. In Wahrheit befinden sich die Fixsterne in verschiedenen Entfernungen zur Erde und eilen gemäß ihres inneren Bewegungsprinzips, in freier Leichtigkeit, über riesige Zeiträume hin, um weitere Sonnen als den zentren ihrer Anziehung (z.B. A 126ff., 159ff; It I, 81ff., 111ff.): Dies ist die vorphysikalische Fassung derr Trägheitsbewegung und der Gravitation.

Ferner wußte Bruno von der unüberbrückbaren Disproportion von Lebenszeit, geschichtlicher Zeit und Sternenzeit. Zum ersten Mal wird sich ein Denker bewußt, daß die unvorstellbaren Zeiten und Räume strukturell zur Subjektivierung führen müssen. Subjektivität wird bewußt als Grenze des Raums, den der Leib bildet, als Grenze des Raums, in dem der Leib sich bewegt (ohne je die Bewegung der Erde zu spüren), und als Grenze der Zeit, während derer «dieser mein Körper da» aus dem Strom der materiellen Metamorphosen gehoben ist. Die Terminationen der Existenz des Subjekts stellen zugleich auch eine neue Würde des Huamen dar: Als Bewohner eines Stern unter Sternen findet das Subjekt sich auf einem Ort vor, von wo aus das Wissen sich in gleicher Weise wie von jedem denkbaren Ort des Universums bilden kann. Bei Bruno wird absehbar, daß die Neue Kosmologie einen anderen Typ von Erkenntnistheorie nach sich ziehen wird: nämlich Rekonstruktion des Wissens aus den Strukturen, in denen unvermeidlich der Mensch wahrnimmt und denkt. Zum anderen zielt die Brunosche Erkenntnis auf die Befreiung aus dem Kerker des Fleisches, auf die Entgrenzung des Ich und die Epiphanie des göttlichen Lichts der anima mundi. Telos der Erkenntnis ist die «intellektuelle Anschauung» des ewigen, unendlichen Einen im «lebendigen Spiegel der Natur» (A 159; It I, 111).

«Wahre Dein Recht auf des Weltalls Höhn! Nicht haftend am Niedern. Sinke vom Staube beschwert dumpf in des Acherons Flut!
Nein, wielmehr zum Himmel empor! Dort suche die Heimat!
Denn wenn ein Gott dich berührt, wirst du zu flammender Glut.»
(U 18*; It I, 145)

Neben neuplatonistischen gehen hier alchimistische Erlösungsspekulationen ein. Der Untergang des Alten, das Durchlaufen der Zerrissenheit und Zerstückelung, der kleine Tod (nigredo), die Reinigung von den Schlacken, das Herausprozessieren der secreta naturae, die Verwandlung des Adepten in der Glut der Erkenntis zum göttlich Erleuchteten: dies sind Momente des alchimistischen wie philosophischen Prozesses. Die Naturforschung Brunos hat eine esoterische Dimension: Im Studium der «Geheimnisse der Natur» (U, 105; It I, 234) geht es zuletzt um die Erlölsung des in die Natur eingeschlossenen «philosophischen Goldes», geht es um die Erlösung des Menschen im Licht unvergänglicher Wahrheit.


VIll. Wirkung und Perspektiven

Zweifellos hat die Hinrichtung des Häretikers Bruno die Wirkung des Philosophen nachhaltig erschwert; doch wurde Bruno bis zur Goethezeit auch innerhalb der Philosophie wegen seines metaphysischen Enthusiasmus und der vorneuzeitlich erscheinenden Poetizität systematisch verdrängt. Bis heute reichen die Wirkungen der institutionellen wie intellektuellen Zensur: Sieht man von Italien ab, wo sich seit etwa 1900 die Forschungslage kontinuierlich entwickelt, dürfte es keinen Philosophen von europäischem Rang geben, der ähnlich schlecht erforscht ist wie Bruno. Natürlich hängt dies auch mit Sprachproblemen zusammen: So ist bis heute noch kein lateinisches Werk Brunos in eine Gegenwartssprache übersetzt wrden. Dies aber ist selbst ein Effekt langfristig wirksamer Zensur. Damit ist die Rezeption besonders der mnemotechnischen, monadologischen und atomistischen Dimensionen des Brunoschen Denkens behindert. Verläßliche deutsche Übersetzungen gibt es nur von De la causa, principo et Uno und La Cena de le Ceneri. Die von L. Kuhlenbeck übersetzte Werkausgabe (1904-1909) der italienischen Dialoge ist, wegen ihrer Einzigkeit, noch immer unverzichtbar, obwohl sie unzuverlässig und ein antisemitisches Zeugnis der deutschen Intelligenz um 1900 ist.

Der Beginn der öffentlichen philosophischen Wirkung Brunos in Deutschland beruht auf einem Mißverständnis. Friedrich Heinrich Jacobi übersetzte 1789 Teile aus De la causa, principo et Un, um im zuge des sogen. Pantheismusstreites – Lessing hatte sich, nach Jacobis Zeugnis, 1780 zum Spinozismus und zu Goethes Prometheus bekannt – beweisen zu können, daß neben Spinoza auch Bruno zu den Begründern der modernen Gottlosigkeit zu zählen sei. Der Anti-Aufklärer läßt mit bruno, der eben den Aufklärern zutiefst fremd blieb, die Kette der Denker beginnen, die für den Atheismus im Zeichen aufgeklärten Geistes verantwortlich zeichnen sollen. Die Intellektuelle Erregung, die voll diesem Streit ausging und noch in den Kommentaren Heines und Feuerbachs spürbar ist, brachte Bruno in die Diskussion und ließ ihn – in Umkehrung der Inszenierung Jacobis – auf der Seite der aufklärungskritischen Romantiker und bei Goethe zur Wirkung kommen (Blumenberg 1969, Stern 1977).

Schelling (Bruno oder Über das göttliche und natürliche Princip der Dinge, 1802) ist der erste Philosoph, der aus Gründen philosophischer Strukturverwandtschaft eine Bruno nicht nur nicht meidende, sondern
affirmierende Haltung öffentlich einzunehmen wagte. Es ist die spekulativ entwickelte, dynamische Materietheorie, die Idee der natura naturans, der produktiven Lebendigkeit der Natur, der das Göttliche einwohnt, – es ist die Vorstellung des «inneren Künstlers» (Bruno), die Schelling ins Konzept der unbewußten, im Menschen reflexiv werdenden Intelligenz der Natur wendet; es ist die Idee des absoluten Einen, das in den Reichen der Natur sich im vielen Einzelnen ausdifferenziert; und es ist die Einsicht, claß Naturphilosophie nicht in der erkenntniskritischen Rekonstruktion der empirischen Wissenschaften aufgehen darf, sondern davon unabhängig eine Konzeption des Menschen als Anderes der Natur und der Natur als Anderes des Menschen zu entwickeln bat, worin Schelling sich Bruno wahlverwandt wissen durfte. Die romantische Naturphilosophie, mit ihren spekulativen wie mit Ihren kryptomaterialistischen Zügen, wird zum Ausgangspunkt einer Wirkung Brunos im 19. Jahrhundert: zunächst bei Goethe an den Punkten, die ihn Schelling benachbarten, darüber hinaus in seiner Idee der Entelechie, der Metamorphose und der Monade. Der monistische Holismus wie auch die materialistische Naturtheorie des 19. Jahrhunderts können auf der Linie Brunos gesehen werden. Im 20. Jahrhundert ist es Ernst Bloch, der diese Lesart weiterentwickelt und im Rückgriff auch die Naturphilosophie der Renaissance (und dabei Brunos) sowie der Romantik seine materialistische Philosophie einer dynamischen Naturproduktivität entfaltet.

Auf dieser Linie liegen auch die Perspektiven von Brunos Philosophie heute. Die Krise des neuzeitlichen Mensch-Natur-Verhältnisses schafft ein Bedürfnis nach praktischer Naturphilosophie, das ohne Rückbesinnung auf die verlorenen oder verdrängten Traditionen der Naturphilosophie nicht wird befriedigt werden können. Die Renaissancephilosophie kann für die Ausarbeitung der anthropologischen, ästhetischen und praktischen Dimensionen der Naturphilosophie dabei die Funktion einer historischen Rückversicherung übernehmen. Wenn verstanden und praktisch eingeholt werden würde, warum, wie Bruno sagt, der Mensch nicht in Angst zu leben braucht, wenn er die angemessene Philosophie der Natur und des Ortes des Menschen in ihr findet, dann erst würde auch die umfassende Dimension der Naturphilosophie einsichtig, wie sie im 16. Jahrhundert entwickelt wurde.

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